Die A-priori-Wahrscheinlichkeit hat eine wichtige Anwendung in der statistischen Mechanik. In der klassischen Version ist sie definiert als das Verhältnis der Anzahl der Elementarereignisse (z.B. die Anzahl der Würfelwürfe) zur Gesamtzahl der Ereignisse – und zwar rein deduktiv, d.h. ohne jedes Experimentieren. Im Falle des Würfels, wenn wir ihn auf dem Tisch betrachten, ohne ihn zu werfen, wird jedes Elementarereignis deduktiv als gleich wahrscheinlich angesehen – die Wahrscheinlichkeit jedes Ergebnisses eines imaginären Wurfs des (perfekten) Würfels oder einfach durch Zählen der Augenzahlen ist also 1/6. Jede Seite des Würfels erscheint mit gleicher Wahrscheinlichkeit – die Wahrscheinlichkeit ist ein für jedes Elementarereignis definiertes Maß. Das Ergebnis sieht anders aus, wenn man den Würfel zwanzigmal wirft und fragt, wie oft (von 20) die Zahl 6 auf der oberen Seite erscheint. In diesem Fall kommt die Zeit ins Spiel und wir haben eine andere Art von Wahrscheinlichkeit, die von der Zeit oder der Anzahl der Würfelwürfe abhängt. Andererseits ist die a priori-Wahrscheinlichkeit unabhängig von der Zeit – man kann den Würfel auf dem Tisch so lange betrachten, wie man will, ohne ihn zu berühren, und man schließt daraus, dass die Wahrscheinlichkeit, dass die Zahl 6 auf der Oberseite erscheint, 1/6 beträgt.
In der statistischen Mechanik, z.B. die eines Gases, das in einem endlichen Volumen V {\displaystyle V}
, sowohl die Raumkoordinaten q i {\displaystyle q_{i}}
und die Impulskoordinaten p i {\displaystyle p_{i}}
der einzelnen Gaselemente (Atome oder Moleküle) sind in dem von diesen Koordinaten aufgespannten Phasenraum endlich. In Analogie zum Fall des Würfels ist die A-priori-Wahrscheinlichkeit hier (im Falle eines Kontinuums) proportional zum Phasenraumvolumenelement Δ q Δ p {\displaystyle \Delta q\Delta p}
geteilt durch h {\displaystyle h}
, und ist die Anzahl der darin enthaltenen stehenden Wellen (d. h. Zustände), wobei Δ q {\displaystyle \Delta q}
der Bereich der Variablen q {\displaystyle q}
und Δ p {\displaystyle \Delta p}
ist der Bereich der Variablen p {\displaystyle p}
(hier der Einfachheit halber in einer Dimension betrachtet). In 1 Dimension (Länge L {\displaystyle L}
) ist diese Zahl oder statistische Gewichtung oder A-priori-Gewichtung L Δ p / h {\displaystyle L\Delta p/h}
. In üblichen 3 Dimensionen (Volumen V {\displaystyle V}
) kann die entsprechende Zahl zu V 4 π p 2 Δ p / h 3 {\displaystyle V4\pi p^{2}\Delta p/h^{3}} berechnet werden
. Um zu verstehen, dass diese Größe eine Anzahl von Zuständen in der Quanten- (d. h. Wellen-) Mechanik angibt, muss man sich vergegenwärtigen, dass in der Quantenmechanik jedes Teilchen mit einer Materiewelle verbunden ist, die die Lösung einer Schrödinger-Gleichung ist. Im Fall von freien Teilchen (mit der Energie ϵ = p 2 / 2 m {\displaystyle \epsilon ={\bf {p}}^{2}/2m}
) wie die eines Gases in einem Kasten mit dem Volumen V = L 3 {\displaystyle V=L^{3}}
eine solche Materiewelle ist ausdrücklich ψ ∝ sin ( l π x / L ) sin ( m π y / L ) sin ( n π z / L ) {\displaystyle \psi \propto \sin(l\pi x/L)\sin(m\pi y/L)\sin(n\pi z/L)}
,
wobei l , m , n {\displaystyle l,m,n}
ganze Zahlen sind. Die Anzahl der verschiedenen ( l , m , n ) {\displaystyle (l,m,n)}
Werte und damit Zustände in dem Bereich zwischen p , p + d p , p 2 = p 2 , {\displaystyle p,p+dp,p^{2}={\bf {p}}^{2},}
ergibt sich dann als der obige Ausdruck V 4 π p 2 d p / h 3 {\displaystyle V4\pi p^{2}dp/h^{3}}
unter Berücksichtigung der von diesen Punkten abgedeckten Fläche. Außerdem ist angesichts der Unschärferelation, die in einer räumlichen Dimension Δ q Δ p ≥ h {\displaystyle \Delta q\Delta p\geq h}
,
diese Zustände sind ununterscheidbar (d.h. diese Zustände tragen keine Etiketten). Eine wichtige Konsequenz ist ein Ergebnis, das als Liouville-Theorem bekannt ist, d.h. die Zeitunabhängigkeit dieses Phasenraumvolumenelements und damit der a priori-Wahrscheinlichkeit. Eine Zeitabhängigkeit dieser Größe würde bedeuten, dass Informationen über die Dynamik des Systems bekannt sind, und wäre daher keine a priori-Wahrscheinlichkeit. Somit ist der Bereich
Ω := Δ q Δ p ∫ Δ q Δ p , ∫ Δ q Δ p = c o n s t . , {\displaystyle \Omega :={\frac {\Delta q\Delta p}{\int \Delta q\Delta p}},\;\;\;\;\;\int \Delta q\Delta p=const.,}
bei Differenzierung nach der Zeit t {\displaystyle t}
ergibt sich Null (mit Hilfe der Hamilton-Gleichungen): Das Volumen zum Zeitpunkt t {\displaystyle t}
ist das gleiche wie zum Zeitpunkt Null. Man bezeichnet dies auch als Erhaltung der Information.
In der vollständigen Quantentheorie hat man einen analogen Erhaltungssatz. In diesem Fall wird die Phasenraumregion durch einen Unterraum des Zustandsraums ersetzt, der durch einen Projektionsoperator P {\displaystyle P}
, und statt der Wahrscheinlichkeit im Phasenraum hat man die Wahrscheinlichkeitsdichte Σ := P T r P , N = T r P = c o n s t . , {\displaystyle \Sigma :={\frac {P}{TrP}},\;\;\;N=TrP=const.,}
wobei N {\displaystyle N}
die Dimensionalität des Unterraums ist. Der Erhaltungssatz wird in diesem Fall durch die Unitarität der S-Matrix ausgedrückt. In beiden Fällen gehen die Überlegungen von einem geschlossenen isolierten System aus. Dieses geschlossene isolierte System ist ein System mit (1) einer festen Energie E {\displaystyle E}
und (2) einer festen Anzahl von Teilchen N {\displaystyle N}
in (c) einem Gleichgewichtszustand. Betrachtet man eine große Anzahl von Replikaten dieses Systems, so erhält man ein sogenanntes „mikrokanonisches Ensemble“. Für dieses System postuliert man in der Quantenstatistik das „Grundpostulat der gleichen a priori Wahrscheinlichkeiten eines isolierten Systems“. Dieses besagt, dass das isolierte System im Gleichgewicht jeden seiner zugänglichen Zustände mit der gleichen Wahrscheinlichkeit einnimmt. Dieses fundamentale Postulat erlaubt es uns also, die a priori Wahrscheinlichkeit mit der Entartung eines Systems gleichzusetzen, d.h. mit der Anzahl der verschiedenen Zustände mit gleicher Energie.