Wie im vorangegangenen Kapitel kurz beschrieben, sind Neurotransmitter chemische Signale, die von präsynaptischen Nervenendigungen in den synaptischen Spalt abgegeben werden. Die anschließende Bindung von Neurotransmittern an spezifische Rezeptoren auf postsynaptischen Neuronen (oder anderen Klassen von Zielzellen) verändert vorübergehend die elektrischen Eigenschaften der Zielzellen, was zu einer enormen Vielfalt von postsynaptischen Effekten führt (siehe Kapitel 7 und 8).
Die Vorstellung, dass elektrische Informationen von einem Neuron zum nächsten mittels chemischer Signale übertragen werden können, war in der ersten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts Gegenstand intensiver Diskussionen. Ein Schlüsselexperiment, das diese Idee untermauerte, wurde 1926 vom deutschen Physiologen Otto Loewi durchgeführt. Auf der Grundlage einer Idee, die ihm angeblich mitten in der Nacht kam, wies Loewi nach, dass die elektrische Stimulation des Vagusnervs den Herzschlag durch die Freisetzung eines chemischen Signals verlangsamt. Er isolierte und perfundierte die Herzen von zwei Fröschen und überwachte deren Schlagfrequenz (Abbildung 6.1). Der Kern seines Experiments bestand darin, das Perfusat, das durch das stimulierte Herz floss, aufzufangen und in das zweite Herz zu leiten. Obwohl das zweite Herz nicht stimuliert worden war, verlangsamte sich auch sein Schlag, was zeigt, dass der Vagusnerv die Herzfrequenz durch die Freisetzung einer Chemikalie reguliert, die sich im Perfusat ansammelt. Ursprünglich als „Vagussubstanz“ bezeichnet, stellte sich später heraus, dass es sich dabei um Acetylcholin (ACh) handelt, das im Laufe der Jahre zu dem am gründlichsten untersuchten Neurotransmitter geworden ist. ACh wirkt nicht nur im Herzen, sondern an einer Vielzahl von postsynaptischen Zielen im zentralen und peripheren Nervensystem, vor allem an der neuromuskulären Verbindung der quergestreiften Muskeln und im viszeralen motorischen System (siehe Kapitel 5 und 21).
Abbildung 6.1
Loewi’s Experiment zur Demonstration der chemischen Neurotransmission. (A) Schema des Versuchsaufbaus. (B) Wurde der Vagusnerv eines isolierten Froschherzens stimuliert, verringerte sich die Herzfrequenz (obere Tafel). Wenn die Perfusionsflüssigkeit des stimulierten Herzens (mehr…)
Im Laufe der Jahre hat sich eine Reihe von formalen Kriterien herausgebildet, die eine Substanz definitiv als Neurotransmitter identifizieren (Kasten A). Dennoch ist es nach wie vor ein schwieriges Unterfangen, die an einer bestimmten Synapse aktiven Neurotransmitter zu identifizieren, und für viele Synapsen (insbesondere im Gehirn) ist die Art des Neurotransmitters nicht genau bekannt. Substanzen, die nicht alle in Kasten A aufgeführten Kriterien erfüllen, werden als „mutmaßliche“ Neurotransmitter bezeichnet.
Box A
Kriterien, die einen Neurotransmitter definieren.
Die besonderen Eigenschaften von Neurotransmittern im Vergleich zu anderen Signalmolekülen werden durch einen Vergleich mit den Wirkungen der vom endokrinen System ausgeschütteten Hormone deutlicher. Hormone beeinflussen in der Regel Zielzellen, die weit von der hormonausschüttenden Zelle entfernt sind (siehe Kapitel 8). Diese „Fernwirkung“ wird durch die Freisetzung von Hormonen in den Blutkreislauf erreicht. Im Gegensatz dazu ist die Entfernung, über die Neurotransmitter wirken, winzig. An vielen Synapsen binden die Transmitter nur an Rezeptoren auf der postsynaptischen Zelle, die direkt unter dem präsynaptischen Terminal liegt (Abbildung 6.2A); in solchen Fällen wirkt der Transmitter über Entfernungen von weniger als einem Mikrometer. Selbst wenn Neurotransmitter lokal diffundieren, um die elektrischen Eigenschaften mehrerer postsynaptischer (und manchmal auch präsynaptischer) Zellen in der Nähe zu verändern (Abbildung 6.2B), wirken sie nur über Entfernungen von zehn bis hundert Mikrometern. Während die verlängerten axonalen Prozesse von Neuronen die Freisetzung von Neurotransmittern in einer Entfernung von bis zu einem Meter vom neuronalen Zellkörper ermöglichen, wirken diese Transmitter dennoch nur in der Nähe des präsynaptischen Freisetzungsortes (Abbildung 6.2C).
Abbildung 6.2
Lokalisierung der Neurotransmitterwirkung. Neurotransmitter wirken im Allgemeinen entweder lokal (A), indem sie die elektrische Erregbarkeit einer kleinen Region einer einzelnen postsynaptischen Zelle verändern, oder diffuser (B), indem sie die elektrische Erregbarkeit einer (mehr…)
Während die Unterscheidung zwischen Neurotransmittern und Hormonen im Allgemeinen klar ist, kann eine Substanz in einer Region des Gehirns als Neurotransmitter wirken, während sie anderswo als Hormon fungiert. So fungieren beispielsweise Vasopressin und Oxytocin, zwei Peptidhormone, die von der Hypophysenhinterwand in den Blutkreislauf abgegeben werden, auch als Neurotransmitter an einer Reihe von zentralen Synapsen. Eine Reihe anderer Peptide dienen ebenfalls sowohl als Hormone als auch als Neurotransmitter.