Fotos mit freundlicher Genehmigung von Élodie Chrisment/Hans Lucas
Dieser Artikel erschien ursprünglich auf VICE France
Nach Angaben der Pariser Polizei, hat die Zahl der Prostituierten, die in der Gegend des Bois de Boulogne-Parks arbeiten, in den letzten fünf Jahren „erheblich zugenommen“. Ein Sprecher des „Collectif 16e arrondissement des prostituées du bois de Boulogne“ (eine Gruppe unabhängiger Prostituierter, die im Bois de Boulogne arbeiten) gab kürzlich bekannt, dass sich die Zahl der Sexarbeiterinnen in diesem Gebiet auf 180 beläuft.
Ich habe mich schon immer für informelle Architekturen und Menschen interessiert, die es schaffen, etwas aus dem Nichts aufzubauen. In meiner Arbeit untersuche ich oft die Art und Weise, wie marginalisierte Bevölkerungsgruppen mit ihrer oft feindlichen Umgebung zurechtkommen. Bisher hatte ich die Gelegenheit, in den Favelas von Rio de Janeiro zu arbeiten und die Vertriebenen in der Region Sichuan nach dem Bau des Drei-Schluchten-Staudamms in der chinesischen Stadt Chongqing zu begleiten. In diesem Sinne begann ich vor drei Jahren, die Arbeitsbedingungen der Prostituierten im Bois de Boulogne für ein Projekt mit dem Titel Places of Pleasure zu untersuchen.
Der Bois de Boulogne ist ein Park mit einem guten Ruf – jeder Pariser kennt ihn als einen Ort, an dem Sexarbeit stattfindet. Jeden Morgen kommen Scharen von Frauen im Bois de Boulogne an – manche mit dem Bus, andere mit dem eigenen Auto. Ihr Tag beginnt mit dem Einrichten ihres Arbeitsplatzes: Einige bauen im Wald oder hinter Büschen ein Zelt auf, andere öffnen ihren Kofferraum, biegen die Sitze um, decken die Fenster ab und zünden Weihrauch an. Sobald sie sich eingerichtet haben, bereiten sie sich vor – sie tragen sorgfältig ihr Make-up auf und ziehen sich ein aufreizenderes Outfit an oder ziehen sich einfach aus. Der ganze Vorgang hat eine fast rituelle Qualität; er scheint den Frauen Zeit zu geben, die Grenzen ihres „täglichen“ Lebens zu überschreiten und ihre Rolle als Prostituierte anzunehmen.
Um die Mittagszeit liefert ihnen ein Bekannter Essen und Getränke. Aber die Frauen essen selten zu Mittag, ihre Arbeit raubt ihnen offenbar den Appetit. Viele arbeiten mit leerem Magen, obwohl oft eine Flasche Alkohol aus ihrer Tasche ragt. Gegen 17.00 Uhr beginnen sie mit dem Zusammenpacken, denn dann übernimmt die Nachtschicht.
In der Zeit, die ich dort verbracht habe, habe ich mir ein bestimmtes Gebiet ausgesucht, in der Hoffnung, so den Ort und seine Bewohner besser kennenzulernen. Ich wählte einen Teil des Parks, der durch die Straße getrennt ist. Innerhalb von drei Jahren lernte ich etwa 30 Frauen kennen, von denen die meisten selbstständig arbeiteten. Das erleichterte unsere Begegnungen, denn sie durften in unseren Gesprächen völlig frei sprechen. Einige kamen aus Lateinamerika und einige waren transsexuell.
Ich habe auch einige ihrer Kunden kennengelernt, aber es wäre schwierig, ein Profil zu erstellen: Sie waren alle Männer, aber von unterschiedlichem Hintergrund und Alter – von jungen Vorstadtkindern bis hin zu Geschäftsleuten aus La Défense, die zwischen ihren Sitzungen im Bois de Boulogne vorbeikommen, um sich zu entspannen, mit einem Kindersitz auf dem Rücksitz ihres Autos. Für die meisten von ihnen ist der Besuch bei einer Prostituierten eine Möglichkeit, Dampf abzulassen.
Die Prostituierten sind der festen Überzeugung, dass die Arbeit, die sie verrichten, sozial ist und dass ihre kleine Welt jede einzelne schlechte Regierungsentscheidung widerspiegelt, die in den Jahren der Wirtschaftskrise getroffen wurde. „Früher war der Bois de Boulogne ein Ort zum Feiern – heute ist er eine Art Medizin“, sagte mir eine von ihnen.
Élodie Chrisment ist eine französische Fotografin, Mitglied des Studios Hans Lucas..