Tinder ist der Swipe, und der Swipe ist Tinder. Aber zum Ende des Jahrzehnts könnte es an der Zeit sein, den Swipe, den wir einst kannten, in Rente zu schicken. Die Einführung von Tinder im Jahr 2012 läutete nicht nur den Beginn einer Ära ein, in der sich scheinbar jeder online verabredet, sondern auch den Beginn des „Swipe“ als Design- und Interaktionskonzept. Ein Swipe nach links bedeutet Nein und ein Swipe nach rechts bedeutet Ja – aber das wussten Sie natürlich schon.
Während es sich rudimentär anfühlt, den Swipe zu erklären, schien er einst radikal. Bevor es diese Funktion gab, erstellten Online-Dater auf einer Website Profile, die stundenlang zu perfektionieren waren. Bei OkCupid mussten die Nutzer scheinbar endlose Fragen beantworten, und eHarmony konzentrierte sich auf Persönlichkeitstests, um Menschen zu bewerten und Kompatibilitätswerte zu ermitteln. Dann kam der „Swipe“. Damit wurde die Arbeit aus dem Online-Dating entfernt und stattdessen eine wesentliche Frage gestellt: Findest du diese Person heiß? Wenn ja, wischen Sie nach rechts. Wenn nein, wischen Sie nach links. Ganz einfach.
Der „Swipe“ wurde vor nur sieben Jahren geboren und hat in dieser Zeit das Online-Dating erobert und es zum Mainstream gemacht. Es wird erwartet, dass Dating-Apps in diesem Jahr die Zahl von 25 Millionen Nutzern in den USA überschreiten, und 2017 gaben 39 Prozent der heterosexuellen Paare in den USA an, sich online kennengelernt zu haben – laut einer aktuellen Studie waren es 2009 noch 22 Prozent.
Tinder hat die Hürden für Online-Dating gesenkt und es zu einem Spiel gemacht. Die Profile sind nackt, und die Auswahl der Personen, für die man sich interessiert, grenzt an Gedankenlosigkeit. Anstatt im Vorfeld Arbeit zu verlangen, laden die Nutzer eine App herunter und können sofort mit dem Matching beginnen. Noch genialer: Bei Tinder mussten die Nutzer früher ihr Facebook-Konto verknüpfen und einige wichtige Profildaten wie Alter und Schule angeben. Die App verließ sich auf das in den Handys eingebaute GPS, um zu ermitteln, wo sich die Nutzer befanden, und stellte von dort aus potenzielle Partner zusammen. Die Einfachheit der App zu einer Zeit, in der Smartphones auf dem Vormarsch waren, brachte Tinder auf einen Höhenflug.
Das grundlegende Swipe-Konzept war für Match, die Muttergesellschaft von Tinder, so wertvoll, dass sie sogar Patentstreitigkeiten über die Einbindung des Swipe in andere Dating-Apps führt – der Swipe ist Geld. (Bumble und Tinder streiten sich schon seit über einem Jahr um den Swipe.)
Swipe-Hasser hingegen verhöhnen ihn als böse Macht, die uns korrumpiert und zu sexbesessenen Irren gemacht hat. Wer sind wir als Menschen, wenn wir mit einem Fingertipp und einer Wischbewegung aus Tausenden von potenziellen Partnern wählen können? Bedeutet das das Ende der Monogamie? In einem Artikel der Vanity Fair aus dem Jahr 2015 wurde Tinder mit der „Dating-Apokalypse“ in Verbindung gebracht, einer Zeit, in der Sex so leicht verfügbar ist, dass das Werben aufhört zu existieren. Das scheint noch nicht eingetreten zu sein, und tatsächlich kommt der Swipe langsam aus der Mode.
Im Jahr 2020 scheinen die Apps zu merken, dass der Swipe allein nicht mehr ausreicht. Sie differenzieren sich, indem sie langsamere Erlebnisse schaffen, die zu echten Verabredungen mit echten Menschen führen und vermutlich die Wünsche der Nutzer aufgreifen.
Sogar Tinder experimentiert mit Möglichkeiten, den Swipe zu erweitern und den Menschen mehr Kontext als nur ein Ja oder Nein zu geben. In diesem Jahr wurde Swipe Night eingeführt, eine interaktive Videofunktion, die es den Nutzern ermöglicht, auf Menschen zu wischen, die ähnliche Entscheidungen getroffen haben wie sie selbst während des Erlebnisses. Es hat sich herausgestellt, dass man neben dem Swipe auch etwas zum Reden haben sollte. Andere Apps, wie z. B. Hinge, konzentrieren sich auf das Durchblättern von Profilseiten, die den Nutzern mehr Informationen über die Person geben, mit der sie sich verabreden möchten. The League nutzt automatisierte, zweiminütige Videoanrufe, um den Nutzern zu helfen, die passenden Partner herauszufiltern. Neuere Apps, die sich noch nicht voll durchgesetzt haben, wie Bounce, konzentrieren sich auf den realen Teil der Partnersuche, indem sie den Menschen keinen Raum zum Reden geben und sich stattdessen auf die Verabredung konzentrieren. Die App ist nur zu bestimmten Zeiten aktiv.
Der Swipe beschleunigte die Partnersuche – die Menschen konnten so viele Menschen aufnehmen, wie sie wollten, so schnell wie sie wollten. Aber da die Diskussionen über Technik, psychische Gesundheit und Burnout einen fiebrigen Höhepunkt erreichen, wird der „Swipe“ wahrscheinlich nicht für immer bleiben. Es könnte die Geste bleiben, mit der wir Dating-Entscheidungen treffen, aber es wird mehr erfordern als eine „Heiß-oder-nicht“-Entscheidung.
In den sieben Jahren seit dem Start von Tinder zählt die App nach eigenen Angaben über 5 Millionen zahlende Abonnenten, was wahrscheinlich nur einen kleinen Teil der Gesamtzahl der Nutzer ausmacht. Es gibt mehr Online-Dater als je zuvor, und die Mechanismen, mit denen sie sich treffen, müssen nur umgestellt werden. Millionen von Menschen auf der ganzen Welt haben in diesem Jahrzehnt beim Online-Dating den richtigen Weg eingeschlagen, und wir werden wahrscheinlich nie wieder zurückgehen, wir brauchen nur eine kleine Veränderung.