„Man beachte, dass Maistre die Handlungen des Volkes nicht als gültig ansieht, weil sie ein Verbrechen gegen die Nation begangen haben, indem sie ihren Souverän untergraben haben.“
Einleitung
In den letzten Monaten habe ich mich auf die Veröffentlichung meiner beiden Bücher über postmodernen Konservatismus vorbereitet. Das erste trägt den Titel What Is Post-Modern Conservatism? Essays on Our Hugely Tremendous Times und ist eine Sammlung von Essays für Zero Books. Sie ist als eher informelle Einführung in das Thema gedacht. Das zweite Buch, The Rise of Post-Modern Conservatism für Palgrave MacMillan, ist eine eher akademische Monografie, die eine kritische Theorie der neoliberalen Gesellschaft und der postmodernen Kultur entwirft. Mir geht es darum, aufzuzeigen, wie reaktionäre Bewegungen in einem solchen Kontext entstehen können. Das Buch entwickelt aber auch eine kurze Genealogie des postmodernen Konservatismus, indem es Elemente davon bis zum Denken von Edmund Burke, Michael Oakeshott, Lord Devlin und anderen Persönlichkeiten zurückverfolgt. Mit diesem genealogischen Ansatz will ich nicht beweisen, dass diese Persönlichkeiten postmoderne Konservative im Entstehen sind, sondern vielmehr aufzeigen, wie Elemente ihres Denkens unter den richtigen sozialen und kulturellen Bedingungen in diese Richtung mutieren konnten.
Der offensichtlichste Vorläufer des postmodernen Konservatismus war in der Tat keine dieser Persönlichkeiten, sondern vielmehr ein kleiner Adliger aus Savoyen. Ich spreche natürlich von Joseph de Maistre, der von Isaiah Berlin als Schlüsselfigur der Gegenaufklärung und Vorläufer vieler Formen reaktionärer Politik gefeiert wird. In diesen beiden Aufsätzen werde ich erörtern, inwiefern Maistres Sichtweise die Entstehung des postmodernen Konservatismus vorweggenommen hat, und gleichzeitig erörtern, inwiefern sie als Ansatz für die Welt und die Gesellschaft grundlegend begrenzt ist. Ich hoffe, dass dies ein Gefühl von historischer Klarheit und Kontinuität vermittelt, wenn es darum geht, die gegenwärtige Situation zu bewerten
Joseph de Maistre, der Mensch
Joseph de Maistre wurde 1753 in den Adel des Königreichs Piemont und Sardinien geboren. Sein Vater war Senator und wurde später vom König in den Grafenstand erhoben. Maistre erhielt eine gute Ausbildung, wahrscheinlich bei den Jesuiten. Dies könnte dazu verleiten, ihn als einen quasi-scholastischen Konservativen in der Art des Ignatius von Loyola zu interpretieren. Und tatsächlich ist in Maistres Werk etwas von der Ehrfurcht des Kirchenvaters vor der Autorität zu spüren. Das paradoxerweise Neue an Maistre ist jedoch die Art und Weise, in der er die Vergangenheit mit äußerst neuartigen intellektuellen Mitteln gewaltsam verteidigte. Die stattliche und meisterhafte Prosa der jesuitischen Schriften ist in seinem Werk nicht zu finden. Stattdessen findet man Denunziationen, vernichtende Beleidigungen und apokalyptische Dualismen.
Die meisten von Maistres Analysen haben etwas von der Denunziation des Sokrates durch das athenische Publikum als „Verderber der Jugend“.
Wie nicht anders zu erwarten, war Maistres Einstellung ebenso sehr von seinem Temperament und seiner Situation geprägt wie von seinen Überlegungen. Er war anfangs ein sehr lauwarmer Befürworter liberaler Reformen und stimmte sogar der Einberufung der Generalstände durch Ludwig XVI. zu. Dies mag zum Teil daran gelegen haben, dass seine Familie Land in Frankreich besaß und von einer stärkeren Vertretung profitieren würde. Leider fand dieser Flirt mit der Aufklärung ein jähes Ende, als die Französische Revolution ausbrach. Maistre war entsetzt über diese Entwicklung und machte sich schnell einen Namen als leidenschaftlicher Verteidiger der traditionellen Autoritäten. Die Revolutionskriege schadeten dem Ansehen seiner Familie, und er verbrachte einen Großteil der Zeit im Exil, wo er für den König von Piemont und Sardinien arbeitete, während er kritische Notizen über die Geschehnisse in der Welt schrieb. Schließlich gelangte er nach Russland, wo er hoffte, ein gutes religiöses Volk zu finden, das frei von den Einflüssen der Aufklärung war. Er wurde leider enttäuscht, und Maistres oft kritische Betrachtungen über die russische Gesellschaft fanden ihren Weg in Tolstois Krieg und Frieden. Mit der Niederlage Napoleons 1815 erholte sich der Wohlstand seiner Familie weitgehend. Als er 1821 starb, mag Maistre eine gewisse Genugtuung darüber empfunden haben, dass die französische Monarchie wiederhergestellt und die Veränderungen der Revolution offenbar rückgängig gemacht wurden. Natürlich war dies ein Wunschdenken vieler Reaktionäre, denn es stellte sich heraus, dass der Geist nie ganz in die Flasche zurückgeworfen werden konnte.
Als Denker verkörpert Maistre sehr gut die Charakterisierung von Corey Robin in The Reactionary Mind. Er ist alles andere als besorgt um Konsistenz oder philosophische Strenge und lehnt gelegentlich sogar die Philosophie als Ganzes ab, weil sie dazu neigt, den Einzelnen gegenüber politischen und epistemischen Autoritäten skeptisch zu machen. Die meisten von Maistres Analysen haben etwas von der Denunziation des Sokrates durch das athenische Publikum als „Verderber der Jugend“. Er prangert die Vernunft immer wieder als eine zerstörerische Kraft an, die im besten Fall sorgfältig an ihrem Platz gehalten und im schlimmsten Fall ganz abgelehnt werden muss. Wie er es in seinem kurzen Text Betrachtungen über Frankreich
ausdrückt: „Einige Männer dieses Zeitalters scheinen sich in manchen Momenten zu einem Hass auf das Göttliche zu erheben, aber dieser schreckliche Akt ist nicht nötig, um die anstrengendsten schöpferischen Bemühungen nutzlos zu machen: die Vernachlässigung, ja sogar die Verachtung des großen Wesens bringt einen unwiderruflichen Fluch über die menschlichen Werke, die von ihm befleckt sind. Jede denkbare Institution ruht entweder auf einer religiösen Idee oder ist vergänglich. Institutionen sind in dem Maße stark und dauerhaft, in dem sie an der Gottheit teilhaben. Die menschliche Vernunft oder das, was man unwissend Philosophie nennt, ist nicht nur unfähig, jene Grundlagen zu ersetzen, die man unwissend Aberglauben nennt, sondern die Philosophie ist im Gegenteil eine im Wesentlichen zerstörerische Kraft.“
Aber wie bei allen Reaktionären verbirgt sich hinter den schrillen Anschuldigungen auch eine heimliche Bewunderung und sogar Ehrfurcht vor seinen Feinden. Wenn man die meisten politischen Werke von Maistre durchblättert, findet man nur sehr wenige positive politische Programme. Es gibt nur wenige Standardargumente für eine bestimmte Position – und nichts von dem Bemühen um Ausgewogenheit. Stattdessen gibt es eine ständige Faszination für die Macht und die Tragweite der dämonischen Ereignisse und eine Anerkennung ihrer rationalisierenden Kraft. Dagegen beschwört Maistre das Gespenst des Irrationalismus und der Ehrfurcht vor der Autorität herauf – nicht, weil sich deren Wert rational nachweisen ließe, sondern weil das Versäumnis, sie zu erkennen und an sie zu glauben, zum Umsturz des Status quo und zur Aushöhlung der traditionellen Autoritäten und Werte führt. Maistre war ein großer Irrationalist, dem die Identität und die traditionellen Werte Autorität verliehen, weil sie zur Stabilisierung der Welt notwendig waren. Dies ist kein Argument der Vernunft, sondern im Grunde ein emotionaler Appell an unser Bedürfnis, dass die Welt einen Sinn haben muss. Das bedeutet natürlich, dass die Elemente der Welt, die die Idylle des Irrationalismus stören, mit Grausamkeit und Verachtung bekämpft werden müssen.
Abschluss: Joseph de Maistre und die Autorität
Die Macht, auf die man sich verlassen kann, um diese Aufgabe zu erfüllen, ist natürlich die politische Autorität. Denn die politische Autorität hat immer ein ureigenes Interesse an der Aufrechterhaltung des Status quo, was sie zumindest skeptisch gegenüber den Untersuchungen der Vernunft über dessen Grundlage und Rechtfertigung macht. Hier ist Maistre charakteristisch schwammig in seiner logischen Argumentation, aber aufschlussreich in dem, was er bevorzugt und hervorhebt. Er will den Ruhm der politischen Autorität hervorheben, ohne ein begründetes Argument für ihre Legitimität zu liefern, was wiederum das rationalistische Aufklärungsprojekt rechtfertigen würde, das Maistre so sehr verabscheut. Man muss einen Weg finden, die Autorität zu rechtfertigen, ohne die Vernunft zu benutzen, und so schlägt er vor, dass die Vernunft eine Legitimationsgrundlage für die politische Autorität liefert, die später zurückgezogen werden kann, wenn sie aufhört, rational zu funktionieren.
Manchmal greift Maistre auf Burke’sche Argumente über die Vorsehung zurück, um die Quadratur des Kreises zu versuchen. Er behauptet, Gott wirke in der Welt, um eine bestimmte Gesellschaft und eine soziale Hierarchie zu schaffen, die ihm gefalle. Diesen Plan der Vorsehung abzulehnen ist eine Form von satanischem Stolz, eine Bereitschaft, sich gegen Gottes Willen zu stellen, um der Welt die eigenen Präferenzen aufzuzwingen. Leider ist diese Position höchst problematisch und in sich selbst widersprüchlich. Wenn Gott in der Welt nach dem Prinzip der Vorsehung handelt, könnte man dann nicht einfach Hegels Position zu allen Entwicklungen einnehmen, mit denen man nicht einverstanden ist? Wäre die Französische Revolution nicht selbst eine von Gott gewollte Entwicklung? Warum sollte Gott ein solches Ereignis zulassen, wenn es seinem Plan so sehr zuwiderlief, während er zu anderen Zeiten dafür sorgte, dass sich eine soziale Hierarchie entwickelte, die Autoritäten festigte, die ihm besser gefielen?
Hier wird Maistre deutlicher, was er wirklich meint. Man soll nicht zu tief in diese Fragen eindringen, denn der Wille Gottes und die Legitimität der Gesellschaft sind der Vernunft für immer verborgen. Diese Fragen zu stellen, ist der erste Schritt auf dem Weg zur Hölle. Manchmal räumt Maistre sogar ein, dass die wahre Grundlage jeder politischen Autorität immer die Angst vor Gewalt und die Ehrfurcht vor der souveränen Macht sein wird. Deshalb wird die wahre Grundlage der Autorität immer der Terror und die Androhung gewaltsamer Bestrafung sein. Wie Maistre es in seinen Überlegungen zur Hinrichtung Ludwigs XVI. formulierte:
„…jedes Vergehen gegen die Souveränität, das im Namen der Nation begangen wird, ist immer mehr oder weniger ein nationales Verbrechen, da es immer bis zu einem gewissen Grad die Schuld der Nation ist, wenn irgendeine Gruppierung in die Lage versetzt wird, das Verbrechen in ihrem Namen zu begehen. So haben zwar zweifellos nicht alle Franzosen den Tod Ludwigs XVI. gewollt, aber die übergroße Mehrheit des Volkes hat seit mehr als zwei Jahren alle Torheiten, Ungerechtigkeiten und Vergehen gewollt, die zu dieser Katastrophe geführt haben… Nun wird jedes nationale Verbrechen gegen die Souveränität schnell und schrecklich bestraft; das ist ein Gesetz ohne Ausnahme…Jeder Tropfen des Blutes Ludwigs XVI. wird Frankreich Sturzbäche kosten; vielleicht vier Millionen Franzosen werden das große nationale Verbrechen des antireligiösen und antisozialen Aufstandes, gekrönt vom Königsmord, mit ihrem Leben bezahlen.“
Dies mag wie bloße reaktionäre Schmähung erscheinen, aber es verbirgt einen wirklich wichtigen Punkt. Man beachte, dass Maistre die Handlungen des Volkes nicht als gültig betrachtet, weil sie ein Verbrechen gegen die Nation begangen haben, indem sie ihren Souverän untergraben haben. Die Folge davon wird der Tod von Millionen sein, was er als gerechte Strafe für ein schreckliches Verbrechen fast zu begrüßen scheint. Hier nimmt Maistre ein einzigartiges Merkmal des postmodernen konservativen Diskurses stark vorweg: Die Nation wird nicht in erster Linie als das Volk in seiner Gesamtheit betrachtet. Vielmehr wird sie mit der Person der Autorität gleichgesetzt, die ihrerseits Ehrfurcht vor der Tradition und Angst vor Destabilisierung verkörpert. Mit anderen Worten: Die politische Autorität trägt dazu bei, die Identität der Nation zu stabilisieren, indem sie in einer sich gegenseitig konstituierenden Beziehung agiert, in der eine Seite die gesamte reale Macht innehaben muss. Wie ich in meinem Folgebeitrag zeigen werde, kommt dies dem, was wir heute in vielen postmodernen konservativen Positionen sehen, erstaunlich nahe.
Matt McManus ist derzeit Professor für Politik und internationale Beziehungen an der TEC De Monterrey. Sein Buch Making Human Dignity Central to International Human Rights Law erscheint demnächst bei der University of Wales Press. Seine Bücher The Rise of Post-modern Conservatism und What is Post-Modern Conservatism werden bei Palgrave MacMillan bzw. Zero Books veröffentlicht. Matt ist erreichbar unter [email protected] oder auf Twitter unter Matt McManus@MattPolProf