Ähnlich wie bei Immunreaktionen gegen Antigene von Bakterien oder Viren erfordert der Abscopal-Effekt ein Priming der Immunzellen gegen Tumorantigene. Die lokale Bestrahlung eines Tumorknotens kann zu immunogenen Formen des Absterbens von Tumorzellen und zur Freisetzung von aus Tumorzellen stammenden Antigenen führen. Diese Antigene können von Antigen-präsentierenden Zellen im Tumor (dendritische Zellen und Makrophagen) erkannt und verarbeitet werden. Zytotoxische T-Zellen, die diese Tumorantigene erkennen, können ihrerseits von den Antigen-präsentierenden Zellen des Tumors aktiviert werden. Im Gegensatz zur lokalen Wirkung der Bestrahlung auf die Tumorzellen zirkulieren diese zytotoxischen T-Zellen durch den Blutkreislauf und sind so in der Lage, verbliebene Tumorzellen in entfernten, nicht bestrahlten Körperregionen zu zerstören. Dementsprechend konnte gezeigt werden, dass ein Anstieg der tumorspezifischen zytotoxischen T-Zellen mit einer abskopalen Anti-Tumor-Reaktion bei Patienten korreliert. Umgekehrt wird der abskopische Effekt nach einer experimentellen Depletion von T-Zellen in verschiedenen Tiermodellen aufgehoben.
Abskopische Effekte ionisierender Strahlung werden häufig durch die immunsuppressive Mikroumgebung im bestrahlten Tumor blockiert, die ein effektives T-Zell-Priming verhindert. Dies erklärt, warum die Wirkung bei Patienten, die nur eine Strahlentherapie erhalten, so selten zu beobachten ist. Im Gegensatz dazu kann die Kombination von immunmodulatorischen Medikamenten wie Ipilimumab und Pembrolizumab die systemischen Anti-Tumor-Immunreaktionen, die nach einer lokalen Tumorbestrahlung ausgelöst wurden, teilweise wiederherstellen. Die optimale Kombination von Strahlendosis und Fraktionierung mit immunmodulatorischen Medikamenten wird derzeit intensiv untersucht. In diesem Zusammenhang wurde vorgeschlagen, dass Strahlendosen über 10 bis 12 Gray möglicherweise keine immunogenen Formen des Zelltods auslösen. Bisher gibt es jedoch noch keinen Konsens über das optimale Bestrahlungsschema, das erforderlich ist, um die Chance auf eine abskopale Tumorregression zu erhöhen.